Unterscheidung der Geister II – Regeln der 1. Woche

Ignatius von Loyola unterscheidet im Exerzitienbuch (EB) zwei Gruppen von Regeln zur Unterscheidung der Geister, die er unterschiedlichen Phasen („Wochen“) des Exerzitienprozesses zuordnet:

Die Regeln der 1. Woche (EB 314 – 327)
Sie führen ein in die Unterscheidung der Zustände von Trost und Trostlosigkeit und geben Hinweise zur Strategie des „bösen Geistes“ und zum eigenen Verhalten in der Trostlosigkeit.

Die Regeln der 2. Woche (EB 328 – 336)
Sie führen ein in die Erfahrung von Trost ohne Ursache und geben Hinweise zur Strategie des „bösen Geistes“ und zum eigenen Verhalten in Zeiten des Trostes.

Regeln der 1. Woche

Ignatius geht davon aus, dass wir bei jeder Bewegung nach vorne in Richtung mehr Vertrauen, Hoffnung, Lebendigkeit und Liebe immer auch Gegenbewegungen erfahren werden, die versuchen, uns zu bremsen und zurückzuhalten. Diese Gegenbewegungen gilt es bewusst wahrzunehmen, um sich nicht von ihnen beherrschen und entmutigen zu lassen.

Dazu unterscheidet Ignatius zuerst zwei Grundbefindlichkeiten, in denen wir uns abwechslungsweise wiederfinden: Trost und Trostlosigkeit (siehe weiter unten). Für beide Befindlichkeiten gilt erst einmal das gleiche wie für einzelne Gefühle: wahrnehmen, benennen, zulassen und unterscheiden (siehe Teil I). Das Entscheidende ist nicht, warum ich die eine oder andere Befindlichkeit habe, sondern wie ich mich in diesem Zustand verhalte.

In der Trostlosigkeit sind meine psychischen Kräfte geschwächt, was mich besonders anfällig macht für negative Gedanken und Impulse. Darum soll ich in diesem Zustand nie eine Entscheidung ändern, die ich im Trost getroffen habe. Ich versuche zu vertrauen, dem treu zu bleiben, was mir üblicherweise gut tut, und bewusst meinen negativen Impulsen entgegenzuwirken. Nachdenken und Grübeln führen in diesem Zustand zu nichts und vertiefen nur die Trostlosigkeit.

Im Trost hingegen bin ich eingeladen, Dankbarkeit und Bescheidenheit zu üben, Entscheidungen zu treffen und Kräfte zu sammeln für Zeiten der Trostlosigkeit.

Die erste Gruppe von Regeln endet mit drei Strategien des „Feindes“, vor denen ich mich besonders in Momenten der Trostlosigkeit, aber auch in Zeiten des Trostes in Acht nehmen muss (siehe unten).

Im Folgenden versuche ich, das Wesentliche der 14 Regeln in einer praktisch zugänglichen Weise zu formulieren (für den Originaltext verweise ich auf das Exerzitienbuch).

Die erste Regel (EB 314)
Der gute Geist ruft durch die Stimme des Gewissens und der Vernunft zur Besinnung und zur Umkehr, während der böse Geist durch Verführung zu Lust und Bequemlichkeit versucht, einem im Alten gefangen zu halten.

Die zweite Regel (EB 315)
Wer seiner Sehnsucht folgt und sich auf die Suche nach Gott begibt, wird vom guten Geist gefördert und gestärkt, muss aber damit rechnen, dass er dabei auch vom bösen Geist mit Ängsten, Zweifeln und falschen Gründen beunruhigt und behindert wird.

Die dritte Regel (EB 316)
Die Erfahrung von geistlichem Trost drückt sich aus in
– Freude, Hoffnung, Ruhe und Frieden
– Ich bin voll Energie und Vertrauen
– Ich sehe keine unüberwindbaren Hindernisse
– Alles geht leicht und mit Vergnügen von der Hand          
– Ich bin offen für die Welt und andere Menschen und habe Freude am Kommunizieren
– Gott ist nahe, er liebt mich; es fällt mir leicht, Zeit für ihn zu nehmen und zu beten
– „warme“ Tränen, die lösen und befreien

Die vierte Regel (EB 317)
Die Erfahrung von geistlicher Trostlosigkeit drückt sich aus in
– Traurigkeit, Mutlosigkeit, Pessimismus, kein Vertrauen
– Es fehlt an Energie und Kraft, alles erscheint mühsam und schwierig
– Ich habe viele Probleme und keine Lösungen
– Ich ziehe mich in mich selber zurück und habe keine Lust auf Begegnung und Kommunikation
– Ich habe keine Lust zu beten. Gott ist fern, er hat mich vergessen
– „kalte“ Tränen, die nichts bewegen und alles nur schlimmer machen

Exerzitienbuch EB 316/317 in der Übersetzung von Adolf Haas (Herder 1966)

Die fünfte Regel (EB 318)
Nie in der Trostlosigkeit eine Entscheidung ändern, die man im Trost getroffen hat.

Die sechste Regel (EB 319)
Im Zustand der Trostlosigkeit bewusst den inneren Versuchungen entgegenwirken (agere contra) und eher etwas mehr als etwas weniger beten.

Die siebte Regel (EB 320)
Bewusst auf die Gegenwart, Hilfe und Treue Gottes vertrauen, auch wenn ich sie nicht direkt spüre.

Die achte Regel (EB 321)
In Geduld ausharren und weitergehen im Vertrauen, dass die Trostlosigkeit nicht ewig dauern wird.

Die neunte Regel (EB 322)
Es gibt drei Hauptgründe für geistliche Trostlosigkeit
1. Ich bin nachlässig im Gebet und in der Ordnung meines Lebens.
2. Ich bin eingeladen zur Treue ohne die Belohnung des geistlichen Trostes.
3. Ich werde zur Einsicht geführt, dass geistlicher Trost immer ein Geschenk Gottes ist, das ich mir nicht durch meine eigene Leistung erwirken kann.

Die zehnte Regel (EB 323)
In Zeiten des Trostes bewusst Kräfte sammeln und sich innerlich vorbereiten auf Zeiten der Trostlosigkeit.

Die elfte Regel (EB 324)
In Zeiten des Trostes dankbar und bescheiden bleiben, im Bewusstsein, wie viel mir geschenkt wird und wie wenig ich von mir aus in Zeiten der Trostlosigkeit ausrichten kann.

Die drei Strategien des Feindes

Die zwölfte Regel (EB 325)
Der Feind wird schwach gegenüber Festigkeit und stark gegenüber Nachgiebigkeit. Wenn ich ihm den kleinen Finger gebe, nimmt er die ganze Hand. Darum wehret den Anfängen! – Einladung zur Entschiedenheit

Die dreizehnte Regel (EB 326)
Der Feind versucht, verborgen zu bleiben und nicht entdeckt zu werden. Er verleitet zur Heimlichkeit  – Einladung zur Offenheit

Die vierzehnte Regel (EB 327)
Der Feind sucht nach der schwächsten Stelle, um dort seine Kräfte zu konzentrieren. Er weiss, wo er mich am leichtesten verführen kann – Einladung zur Selbsterkenntnis

5 Kommentare zu „Unterscheidung der Geister II – Regeln der 1. Woche

    1. Danke, liebe Mitzi. Es ist schön, wenn die Erfahrungen und Weisheiten von früher auch heute noch Früchte tragen. Menschliche Lebensweisheiten haben eben etwas Zeitloses 😊
      Den Blog-Namen habe ich seit der Eröffnung im April 2020 nicht geändert. Aber vielleicht verwechselst Du ihn mit meinem zweiten Blog, wo auch die Geschichte mit der « Interessentin » ist, die in 14 Tagen die ganzen Regeln durchlebt 😉

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  1. Kein „covenience-text“, den man schnell zwischen Tür und Angel liest. Da muss man sich schon Zeit nehmen, was die meisten von uns selten genug tun. Ich gestehe, ich bin auch eher der Typ Überflieger. 😊

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    1. Da hast Du natürlich völlig recht, liebe Emma. Aber wie alle Texte, die unter die Rubrik „Ignatianische Spiritualität“ fallen, ist er vor allem dazu da, nicht nur einfach gelesen zu werden, sondern vor allem das regelmässige Einüben der Unterscheidung im Alltag zu ermöglichen und zu begleiten. Und dazu kann, ja muss man solche Texte immer wieder mal hervorholen. Es ist tatsächlich viel leichter, einen solchen Text zu verfassen und zu posten, als das darin dargestellte auch tatsächlich fruchtbar umzusetzen… ich arbeite immer noch daran… und werde es wohl auch bis ans Ende meiner Tage tun 🙂

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